Halbzeit

 

Es ist seltsam, wie schnell die Zeit hier vergeht. Obwohl mein Alltag sehr viel weniger gefüllt ist als in Deutschland, fliegen die Wochen dahin. Man wird an das Verstreichen der Monate immer durch die Gespräche auf der Straße oder im Bus erinnert, in denen früher oder später immer die Frage kommt: Und, wie lange bist du schon hier?

 

Ich glaube die letzten anderthalb Monate habe ich auf diese Frage ein halbes Jahr geantwortet, bis mir plötzlich auffiel, dass die Halbzeit eigentlich schon längst überschritten ist.

 

Gleichzeitig ist jetzt auch der Zeitpunkt gekommen, an dem wir die längste Projektphase am Stück hinter uns haben. In einer Woche fahren wir auf Zwischenseminar und die Zeit danach ist zerstückelt von Ferien und Reisen.

 

Ja, was haben wir die letzten drei Monate eigentlich genau gemacht an den Schulen?

 

Unser Projekt besteht ja aus sehr verschiedenen Aufgaben, wir arbeiten an einer Grund- und einer weiterführenden Schule und gleichzeitig an einer Behinderteneinrichtung und einer Dispensary im Ort. Was mir daran so viel Spaß macht, ist, dass wir mit einer Bandbreite von Menschen- und Altersgruppen zu tun haben. Es reicht von der Kinderstation der Dispensary im Ort, auf der wir Babys und Kleinkinder wiegen bis zum Deutschkurs, in dem wir unserer. Gastmutter und ein paar Lehrern der Kiumakoschule beibringen, wie man sich auf Deutsch vorstellt, begrüßt und die Uhrzeiten sagt.

 

Dementsprechend breit ist auch die Art der Motivation gefächert, auf die wir stoßen. Während die Erwachsenen im Deutschkurs alle freiwillig da sind und hochmotiviert die Hausaufgaben machen, die wir ihnen aufgeben, ist aus unserem Mazingiraclub (Umweltclub), den wir an der Secondaryschool machen, erstmal die Hälfte der Schüler ausgetreten, nachdem wir ihn für freiwillig erklärt haben. Na ja, immerhin nur die Hälfte... :)

 

Mit dem Rest arbeiten wir momentan weiter zum Thema Müll. Ein großes Problem hier ist der Müll, der überall auf den Wegen herumliegt. Eine unserer Stunden zum Thema Plastik bestand deshalb beispielsweise darin, dass wir ein Video zum Thema Verschmutzung der Umwelt durch Plastikpartikel zeigten, in dem Fotos von Vögeln mit Platik im Bauch, durch Müll verkrüppelte Tiere, einem Meer voller Müll,...gezeigt wurden. Danach sollten die Schüler selbst nach draußen gehen und den Müll auf den Wegen fotografieren, anschließend guckten wir uns die Fotos zusammen an und beantworteten in Gruppen fragen wie: Wofür wird hier in Tansania Plastik verwendet? Wie wird er entsorgt? Was passiert, wenn sich der Müll an Plastik immer weiter anhäuft?

 

Ein Problem, auf das wir bei diesen sehr inhaltlichen Stunden an der weiterführenden Schule immer stoßen, ist die Sprache. Da viele Schüler eine komplexere Erklärung auf Englisch nicht verstehen, bereiten wir alles auf Kiswahili vor und stoßen in der Stunde dann aber oft schon an unsere Grenzen, wenn eine längere Frage auf Kiswahili gestellt wird.

 

Einfacher ist es da an der Grundschule. Dort machen wir mit einer Klasse zweimal die Woche spielerischen Englischunterricht, wir spielen Vokabelspiele oder lesen gemeinsam eine Geschichte auf Englisch. In den letzten Wochen haben wir außerdem viel Fußball gespielt, da wir Mitte März ein großes Turnier zwischen den Grundschulen der Gegend veranstaltet haben. Sobald man in den Grundschulen einen Ball rausholt, sieht man lauter strahlende Gesichter, und dementsprechend war das Turnier ein voller Erfolg, etwas durcheinander zwar, aber am Ende des Tages waren wir glaube ich alle erschöpft und glücklich.

 

Das sind die Momente, die für mich eigentlich immer am wertvollsten sind: Wenn alle Beteiligten Spaß haben und eine Idee, die wir uns überlegt haben, auf Anklang stößt.

 

Denn je länger wir hier sind, desto mehr wird uns bewusst: Die Ideen, die wir haben, sind die deutscher Abiturienten, die weder Ausbildung in Methodik, noch in Pädagogik haben. Wenn ich daran denke, kommt es mir manchmal so absurd vor, dass wir hier an den Schulen Stunden zur Verfügung haben, um unseren „Unterricht“ zu machen. Stellt euch mal vor, da würde eine 18-Jährige Tansanierin an einer deutschen Schule antanzen und behaupten, sie helfe jetzt mal mit, damit die Kinder mal richtig Englisch lernen. Da würde man ihr einen Vogel zeigen.

 

Klar, es ist ein Problem, dass viele hier nicht gut Englisch sprechen, aber sind wir die richtigen dafür, das zu beheben? Ich glaube, dazu sind wir gar nicht in der Lage und das, was wir mit unseren Projekten hier konkret erreichen, ist wohl eher eine Abwechslung im Schulalltag.

 

Der Freiwilligendienst und das Bild seiner helferischen Natur sind für mich also schon lange etwas ins Wanken geraten. Ich sehe viel anderen Sinn in meiner Zeit hier, das schon. Sie wird mich bestimmt mein ganzes Leben lang prägen, im Bezug auf Erfahrungen im Umgang mit anderen Menschen und meinem Bild von anderen Kulturen.

 

Auch steht ja der „kulturelle Austausch“ im Mittelpunkt des Dienstes und in Momenten wie dem letztens an der Partnerschule meiner deutschen Schule, in der wir plötzlich von einer ganzen Klasse mit Fragen über Deutschland und unseren Blick auf Tansania bestürmt wurden und endlich mal drauflos erzählen konnten über alles, über das wir uns hier so viele Gedanken machen, habe ich dann plötzlich das schöne Gefühl, vielen Vorurteilen, die übereinander herrschen, entgegenzuwirken.

 

Außerdem genieße ich die Zeit und das Leben hier in vollen Zügen, dass seit einem halben Jahr Sommer ist, ich so viel Zeit für mich habe und wir unglaublich viele nette Menschen kennen lernen.

 

Aber gleichzeitig ist mir bewusst, dass ich nur ein Jahr hier bin und in dieser Zeit nicht annähernd die Komplexität der Kultur durchblicken und all meine eigenen Vorurteile loswerde.

 

Und das auch der „Kulturenaustausch“ seine Definzite hat, da zwar haufenweise Deutsche nach Tansania kommen, aber fast keine Tansanier nach Deutschland.

 

Ich finde es außerdem problematisch, dass in Deutschland oft das Bild des helfenden Europäers, der in Afrika Kindern Englisch beibringt und ihnen womöglich noch ganz viel Glück und Freude bringt, vermittelt wird.

 

Ohne die Zustände in dem anderen Land zu kennen, wird uns Freiwilligen (oder sogar generell der westlichen Welt) damit eine übergeordnete, überlegene Rolle zugeordnet. Es wird damit ja suggeriert, dass die Tansanier sich selbst nicht helfen können und sogar deutsche Abiturienten ohne Lehrererfahrung besser Englisch beibringen können, als Lehrer hier.

 

Auch wenn das so vielleicht nicht in den Richtlinien der Entsendeorganisationen steht, dieses Bild hatte ich in gwissermaßen glaube ich selbst vor vielen Jahren noch, als ich mir in der neunten Klasse überlegt habe, nach Tansania zu gehen.

 

Ich habe das Gefühl, oft wird ein Freiwilligendienst in einem afrikanischen oder auch südafrikanischen Land als viel selbstaufopfernder und weltverbessernder dargestellt wird als ein Dienst in Deutschland oder einem anderen europäischen Land. Wenn man hier ist und sich mit dem Thema mehr beschäftigt, muss man sich aber eingestehen, dass dem nicht unbedingt so ist.

 

Ich bereue es auf keinen Fall, dass ich hier hergekommen bin und und habe keineswegs den Sinn an meiner Zeit hier verloren.

 

Gleichzeitig stehen uns auch die meisten Tansanier sehr nett und offen gegenüber, schon oft haben Leute sich sehr positiv dazu geäußert, dass wir hier sind und zu dem, was wir machen, nachdem ich es erklärt habe.

 

Und doch ist es glaube ich wichtig, dass man versucht, den eigenen Dienst sehr kritisch zu durchleuchten und auch die Zustände in einem Land, das man vielleicht nur aus der Ferne kennt oder in das man nur einen relativ oberflächlichen Einblick bekommen hat, immer nur sehr vorsichtig zu beurteilen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nachtrag zum letzten Eintrag: Fotos aus dem Flüchtlingslager Nyarugusu

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